BUNDESVERFASSUNGSGERICHT ZU DEN VORAUSSETZUNGEN EINER VORLÄUFIGEN SORGERECHTSENTZIEHUNG

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Kammerbeschluss vom 13.07.2017, Aktenzeichen 1 BvR 1202/17, entschieden, die vorläufige Entziehung der elterlichen Sorge erfordere umso weitreichendere Sachverhaltsermittlungen, je geringer der möglicherweise eintretende Schaden des Kindes wiege, in je größerer zeitlicher Ferne der zu erwartende Schadenseintritt liege und je weniger wahrscheinlich dieser sei.

Die bloße Existenz „besserer“ Alternativen vermöge den Entzug der elterlichen Sorge nicht zu rechtfertigen. Dieser setze vielmehr voraus, dass im Falle des Verbleibs des Sorgerechts beim Betroffenen eine nachhaltige Kindeswohlgefährdung zu befürchten wäre.


Sofern der erziehungsberechtigte Elternteil eine vorübergehende Fremdunterbringung des Kindes mittrage und diese unterstütze, sei ein familiengerichtliches Einschreiten grundsätzlich nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig.

Wie sich aus diesem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ergibt, muss die umfassende Aufklärung des Sachverhalts im Vordergrund gerichtlichen Handelns stehen. Dies erfordert ein Zusammenwirken aller Beteiligten, was sich zwangsläufig auf den jeweiligen Vortrag auswirkt. Dieser muss nämlich umfassend sein. Das Familiengericht kann seine Amtsermittlungspflicht nur auf solche Umstände gründen, die ihm zur Kenntnis gebracht werden. Wenn sich allerdings aus dem Vortrag der Beteiligten weitergehender Aufklärungsbedarf ergibt, muss das Gericht diesem natürlich von Amtswegen nachgehen.

Aus den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in dem entschiedenen Fall lassen sich für das familiengerichtliche Vorgehen zumindest folgende Fragen formulieren, deren sachgerechte verfahrensrechtliche Behandlung und Beantwortung sowie Darlegung in der Entscheidung den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts gerecht werden dürften:

– Gebietet das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit nach dem festgestellten Sachverhalt ein Handeln zu seinem Schutz?

– Kann es verantwortet werden, das Kind in der Betreuung und Versorgung der Eltern zu belassen, auch wenn dies nicht als die beste Lösung erscheint?

– Kann erwartet werden, dass die Eltern oder ein Elternteil die Versorgung und die Erziehung des Kindes zukünftig leisten?

– Benötigen die Eltern dazu Unterstützung und Begleitung?

– Sind die Eltern bereit, die gebotene Unterstützung anzunehmen?

– Welche Handlungsalternativen stehen zur Verfügung?

– Kann das Vorbringen der Eltern als tragfähig erachtet und darauf gegebenenfalls eine Handlungsalternative gestützt werden?

– Welche Kontrolldichte kann seitens der Behörden hergestellt werden?

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